Arbeiten von Marie Lynn Speckert und Tobias Gellscheid
Grafiken, Skulpturen, Installationen
Ausstellung vom 1. bis 30. Oktober
Öffnungszeiten: Do 15-18 Uhr, Fr/Sa 15-20 Uhr, So, 14-18 Uhr
Eröffnung: Sonntag, 2. Oktober 2016, 19:00 Uhr, Weisse Halle der Eisfabrik Hannover
Einführung: Wilfried Köpke
Das Glatte ist die Signatur der Gegenwart. Es verbindet Skulpturen von Jeff Koons, iPhone und Brazilian Waxing miteinander. Warum finden wir heute das Glatte schön? Über die ästhetische Wirkung hinaus spiegelt es einen allgemeinen gesellschaftlichen Imperativ wieder. Es verkörpert nämlich die heutige Positivgesellschaft. Das Glatte verletzt nicht. Von ihm geht auch kein Widerstand aus. Es heischt Like. Der glatte Gegenstand tilgt sein Gegen. Jede Negativität wird beseitigt.[i]
Mit diesen Sätzen beginnt Byung-Chul Han, Professor für Kulturwissenschaft an der UdK Berlin und bekannt als scharfer Zeitgeistanalytiker und kritischer Gesellschaftsbeobachter sein Buch Die Errettung des Schönen. Es geht um die Kunst und ihre Aufgabe und damit unweigerlich um das Schöne als die Aufgabe der Kunst.
Wer das Glatte sucht, der findet es nicht hier in der Weißen Halle der Eisfabrik in der Ausstellung Widerhall von Marie Lynn Speckert und Tobias Gellscheid. Er findet trotzdem Ästhetik, er findet Schönheit. Er findet Kunst. Er findet sogar etwas, was Jeff Koons mit den beiden Künstlern verbindet. Doch dazu später mehr.
Widerhall I
Als einer der Programmverantwortlichen der Eisfabrik, in den Mühen der Ebene auf dem langen ideologischen Weg vom Fleischesser zum Veganen wandelnd, realisiert, dass Marie Speckert mit Tierfellen arbeitet, auch mal lebende Hunde in einer Performance einsetzt, ist er empört. Sowas darf hier nicht stattfinden. Hat nicht auch Kunst ihre Grenzen. Wenn Ideologie auf Kunst trifft, verliert die Kunst ihr Eigenleben. Kunst ist immer Geschäftsführung ohne Auftrag. Aber wenn schon die Ankündigung einer Ausstellung solche Emotionen und Reaktionen hervorruft, dann kann das ein Hinweis auf eine spannende Auseinandersetzung sein, die Künstler und ihre Arbeiten hervorrufen. Widerhall des Schönen.
Eine schwarze Hündin, ein versinkendes Pferd, ekstatische Frauen, Skelette als Comedian Harmonists, ein Video, Hypertonie, das das Herz über die Wahrnehmung rasend macht. Was ist daran schön?
Auf die Frage nach dem Schönen gibt Tobias Gellscheid einen ersten Hinweis. Das bunteste Bild, voller Blumen und Farben zeigt ein Trauerkranzgeschmücktes Grab. Sein farbenfroher Farbholzschnitt trägt den Titel Les Fleurs du Mal. Mitte des 19. Jahrhunderts erscheint in Frankreich unter diesem Titel ein Gedichtband von Charles Baudelaire (1821-1867). Darin eine Hymne an die Schönheit (Hymne à la Beauté). Die Schönheit die Baudelaire anspricht wie eine Liebende ist keine glatte Schönheit aus Heidi Klums Germany’s Next Topmodell-Zirkus. Kommst du aus dem Himmel herabgestiegen oder aus der Schattenwelt, Schönheit?, so beginnt sein Gedicht.[i] Und von Zeile zu Zeile wird die Schönheit komplexer, widersprüchlicher:
(…)
Sors-tu du gouffre noir ou descends-tu des astres?
Le Destin charmé suit tes jupons comme un chien;
Tu sèmes au hasard la joie et les désastres,
Et tu gouvernes tout et ne réponds de rien.
(…)
Die Schönheit macht Helden schwach und Kinder zu Helden, sie geht über Leichen und säht wie zufällig Freude oder Desaster. Die Schönheit ist nicht das Glatte, sie trägt ihre Negation in sich. „Die Schönheit ist das gerade noch erträgliche Unerträgliche“[ii], erst im Ausmessen der Gegensätze von oben und unten, Glück und Leid gewinnt Kunst die Schönheit vermitteln will Qualität.
Aus dem Widersprüchlichen und Störenden, dem Ironischen und Ernstem, dem Unkontrollierten und Planbare, dem Offensichtlichen und Verborgenen wächst die Qualität der Arbeiten von Gellscheid und Speckert. In der Kunstgeschichte gibt es häufig den Hinweis auf die Vergänglichkeit. Auf den glänzenden, zum Reinbeißen verführen Obstschalen-Stillleben sitzt eine Fruchtfliege, das Auge des Fisches auf der Küchenanrichte ist gebrochen, hinter dem Jesusknaben auf dem Schoß seiner Mutter bilden Zweige und Gatter ein Kreuz und weisen auf sein Ende hin, zu Füßen des Fürsten liegt ein Totenschädel – auch er sterblich wie alle. „Der Schatten des Memento Mori liegt über allen diesen Blättern“, schreibt Franca Bartholomäi zu den Arbeiten von Tobias Gellscheid und dieser Verweis auf die Abgründe menschlichen Lebens und Fühlens gilt auch für die Arbeiten von Marie Speckert.
Widerhall II
Dass Kunst im Auge der Betrachterin und des Betrachters entsteht, ist eine Binsenweisheit. Die Künstlerin, der Künstler gibt sein Werk ab, stellt es aus und ab dann beginnt der Betrachter es zu sehen, zu interpretieren und geht in einen Dialog mit der Arbeit. Dieser Dialog ist vielfältig und von der Künstlerin und dem Künstler nur bedingt steuerbar. Und doch gibt es Kunsterfahrungen, die sich gleichen, weil die Arbeiten ähnliches bei den Betrachtern anstoßen.
Auch wer die bewegende Szene aus der Verfilmung der Unendlichen Geschichte nach dem Roman von Michael Ende nicht kennt, in der Artax, das Pferd des jungen Helden Atreju, im Moor versinkt, wird von der Artax-Arbeit Speckerts angesprochen. Das Versinken des Pferdes und der Kampf seines Reiters, der den Verlust nicht akzeptieren will, stoßen, konfrontiert durch die Arbeit Speckerts eigene Erfahrungen von Verlust und Trauer an. Atreju bittet, fleht, schreit und wütet, dass Artax sich aus dem Moor befreien soll – doch er versinkt immer tiefer und lässt Atreju alleine zurück. Liebe – und Verlust.
Mutter, eine wie nass-glänzende Hunde-Chimäre weckt positive Assoziationen über die Milchzitzen, die gleich an die Welpen denken lassen, nach denen man sich umschaut. Das schwarze, glänzende Fell, die Augen lassen das Wesen wie aus einem dunklen Alptraum aufgestiegen sein. Märchenbilder kommen einem in den Sinn vom bösen Wolf und dem kleinen Mädchen und den jungen Geißen. Die Märchen funktionieren immer auch, weil sie die Tiefe unserer Seelenbilder ausloten, unsere eigenen Gewalt- und Machtphantasien, Ohnmachts- und Verlorenheitsgefühle. Gegensätze. Abgründe.
Antier und Albus und Ater sind zwei Arbeiten, bei denen Speckert fast bis in das Abstrakte reduziert. Die Tierfelle werden in ein beinahe gefälliges Muster gefügt, das Tiergeweih und der -schädel auf die Grundstruktur abstrahiert. Das hat wenig zu tun mit den Jagdtrophäen der Jäger, die vor dem Kamin liegen oder über dem Kamin hängen. „Mit Tiertrophäen habe ich ein großes Problem.“, unterstreicht Marie Speckert:[iii] „Sie haben etwas mit Machtgefühlen zu tun und das stelle ich künstlerisch in Frage.“ Und doch wecken die Materialen Assoziationen zu Tieren und Fellen, schlachten und benutzen aber auch kuscheln und anschmiegen. Die Menschen haben ihre Felle abgelegt, die Krallen verloren, sind unbehauste Wesen – auch deshalb faszinieren uns Tiere und schrecken uns ab. Wie begegnen uns oft mehr in ihnen, als uns lieb ist, ihren Instinkten und Machtkämpfen, ihr Darwinismus bei uns nur mäßig gezähmt. Speckert zielt mit ihren Arbeiten auf archetypische Muster und Erfahrungen, auf die dunkle Seite der Schönheit, das Abgründige, das Instinktive, die Ängste und Verletzungen, ohne die es wahrscheinlich keine Kunst gibt. Ihre Arbeiten auch Widerhall unserer Verletzlichkeit, dem Vulkan der unter der dünnen Schicht unserer Instinkt- und Impulskultivierung brodelt.
Tobias Gellscheids Arbeiten kommen auf den ersten Blick leichter, ironischer daher. Doch schon der zweite Blick auf die Macharten lässt staunen. Aus Vorlagen von found footage, Fotos im Internet von Konzerten oder aus Blättern von historischen Grafikern wie Hohlbein beginnt er seine Arbeiten in aufwändigen Holzstichen, Holzschnitten oder Linolschnitten. Alte Techniken für Gegenwartsmotive anzuwenden, macht die Arbeiten einerseits zeitlos, andererseits spielt Gellscheid mit den Medien und Motiven, wenn er Filmeffekte in beat I und beat II umsetzt, wenn er in dem Jesus-Triptychon einen mittelalterlichen Stick reproduziert, zerknüllt, scannt, den zerknüllten Scan wieder in Holz schneidet usw. Der mimetische Moment verfliegt sehr schnell. Eben noch habe ich als Betrachter geglaubt etwas zu erkennen, schon wird es mit wieder entzogen. Die Comedian Harmonists werden zu einer Skelett-Horror- Persiflage; die Hexenverbrennung im Mittelalter (hex hex) zur Comic-Adaption die Groupie-Bilder aus den Beatles- oder anderen Pop-Konzerten zu Spiegelbilder einer zeitgenössischen Einsamkeit in der Masse. Darf ein Künstler das? Lapidare Antwort von Tobias Gellscheid: „Ich will beim Betrachter was auslösen und suche den Moment, wo was kippt“.[iv] Die handwerkliche Präzision des gelernten Holzbildhauers im Umgang mit seinem Material, die Verdichtung des Snapshots über das wochenlange Arbeiten ins Holz geben den Blättern eine unzeitgemäße Aura, einen Widerhall geschichtlicher Erfahrung.
Widerhall III
Zwei völlig verschieden Künstlerpersönlichkeiten in einer Ausstellung- und doch passt es zusammen.
Beide gestalten mit gefundenen Materialien und arbeiten von dort aus zu ihren Positionen.
Beide arbeiten stark mit dem Betrachter, der Betrachterin, konfrontieren und lösen Emotionen aus. Und weil Gefühle der Motor des menschlichen Verstandes sind, bringen sie zum Nachdenken.
Beide jobben alltäglich mit dem Tod: Marie Speckert arbeitet als Präparatorin in der Veterinär-Pathologie neben ihrem Meisterschülerinnenstudium bei Wilhelm Mundt an der HfBK Dresden; Tobas Gellscheid zeichnet germanische Urnen im Landesamt für Denkmalpflege in Halle.
Beide haben auf der Burg Giebiechenstein in Halle studiert – Widerhall ist auch ein Wortspiel damit, wie mit der Weißen Halle, in der die Ausstellung stattfindet.
Beide haben mit Jeff Koons zu tun – darauf wollte ich noch kommen. Sie kennen die Arbeiten von Jeff Koons, die Hunde und die Tulpen, Schlangen usw. Überdimensional, glatt und glänzend. Im Frühjahr habe ich versucht in Bilbao die Tulpen vor dem Guggenheim zu fotografieren. Das Problem ist, ich spiegelte mich immer selbst darin. Die Tulpenoberfläche reflektierte mich und die Umgebung: Museumsbau, Brücke, Himmel, Besucher. Ein optisches Echo, ein Widerhall. Jeff Koons Kunst gibt es nicht ohne Betrachter. Und so ist es auch bei Gellscheid und Speckert. Aber. Sie gehen über die glatte Oberfläche und die Spiegelung hinaus. Konfrontieren intensiver. Und tiefer. Es ist der Widerhall des Schönen (nicht des Glatten und Gefälligen !), der zur Erkenntnis führen kann. Der Betrachter begegnet der inneren Wahrheit seiner selbst, seinen Bildern, seinen Erinnerungen, seinen Gefühlen und Instinkten.
Als Adam und Eva vom verbotenen Baum gegessen haben, sucht Gott sie. Adam antwortet ihm: Ich habe dich am Widerhall deiner Worte gehört und fürchtete mich und weil ich nackt bin, habe ich mich versteckt.[v] Das Echo erinnert an das Verbot und lässt die Bedürftigkeit erkennen. Danach folgt für Adam und Eva der Rausschmiss aus dem Paradies. Sie müssen erwachsen werden. Sich den Realitäten stellen.
Eine bittere Erkenntnis und der Anfang der Kunst: selbst schöpferisch werden aus dem, was man findet und was in der Konfrontation mit dem Betrachteten entsteht. Dahin führen Gellscheid und Speckert die Betrachterinnen und Betrachter ihrer Arbeiten.
Wilfried Köpke
[i] Viens-tu du ciel profond ou sors-tu de l’abîme, Ô Beauté?
[ii] Byung-Chul Han (2015): Die Errettung des Schönen, Frankfurt am Main (Fischer) S. 55
[iii] Marie Lynn Speckert im Gespräch mit dem Autor am 30.09.2016.
[iv] Tobias Gellscheid im Gespräch mit dem Autor am 30.09.2016.
[v] Gen 3, 9f.
[i] Byung-Chul Han (2015): Die Errettung des Schönen, Frankfurt am Main (Fischer) S. 9