Eisfabrik Weiße Halle | 21. Nov. bis 19. Dez. 2021 | Kuratiert von Dagmar Brand
Es ist auf den ersten Blick eine bunte, putzige Truppe von Männern und Frauen mit der bekannten runden Anmutung und glatten Oberfläche, die Ulrike Enders zwischen 1976 und 2020 geschaffen hat und die Dagmar Brand als Kuratorin in der Weißen Halle der Eisfabrik aufgestellt hat. Eine Truppe, die es auf den zweiten Blick, dann aber doch in sich hat. Auf den zweiten Blick bemerkt man Verletzungen, die auch aus dem Material, meist dem Holz herrühren, fehlende Gliedmaße, beunruhigende Haltungen. Heinrich Thies beschrieb es treffend als „Reiz des Erstaunlichen und des schon lange Bekannten“. Doch bei aller Verschiedenheit überwiegen die Gemeinsamkeiten in Haltung, in der Form und der Spannung zwischen Natur und Kultur, Körper und Modeaccessoires.
Haltung
Obwohl vielen Figuren etwas fehlt oder mancher auch, wie bei der Skulptur Nagel oder den Bronzen in der Vitrine, etwas zu viel hat, z.B. einen Nagel im Kopf, Muscheln auf dem Kopf, einen Hummerpanzer als Rücken, prägt alle Figuren eine eigene Haltung: Sie stehen ihren Mann oder ihre Frau, sie erzählen eine Geschichte, manchmal mehr als Ulrike Enders ihnen eigentlich zugedacht hat.
Schwierige Lage, die älteste hier ausgestellte Arbeit, 1976, sechs Jahre nach dem Abschluss des Studium an der heutigen Universität der Künste Berlin entstanden, lässt die Betrachter:innen beinahe intuitiv hinzuspringen um den Krawattenträger vor dem Absturz zu bewahren. Aber dann entdeckt man im Gesichtsausdruck des Mannes auch eine gewisse Lust am Abwärtsgleiten, den Halt verlieren, eine Lust am Kontrollverlust – der frappant im Gegensatz steht zum spießigen Kontrollzwang des Mannes, der sogar seine Krawatte in den Hosenbund gesteckt hat, damit sie kein Eigenleben entwickelt.
Die sechs Herren, die an der Wand stehen (u.a. Blaue Anzugfassade, Rechtsseitiger Herr, Linksseitiger Herr), die Hände in der Tasche, die Anzüge etwas zu wenig gebügelt, kopflos aber selbstbewusst. Diese Männer wissen, was sie wollen. Ursprünglich standen sie 2012 im Steintorviertel als Teil einer vielbeachteten Gruppenausstellung mit dem Titel Strich-code, die auf die Käuflichkeit von allem hinwies. Ulrike Enders hatte noch zwei Typen in Lederjacken als Freier gestaltet – mir scheinen die hier stehenden Männer in ihrer Uns-gehört-die-Welt-Haltung durchaus besser als Kunden, als Freier geeignet.
Es ist auffallend, wie viele Krawattenträger hier zu finden sind. Nun hat die Krawatte gerade in den vergangenen Jahren als Statussymbol der Männer zunehmend an Bedeutung verloren. War es vor Jahren noch in Fernsehredaktionen Pflicht, findet man sie heute kaum noch, und selbst Claus Kleber und Ingo Zamperoni sieht man schon mal ohne, von Politikern ganz zu schweigen. Für Ulrike Enders gehört die Krawatte dann aber doch dazu. Sehr sogar. Wer bei Männerbrust – einer Holzarbeit aus dem Jahr 2000 – Instagramkompatible und definierte Butterfly-Muskulatur erhofft, sieht sich dem Dreiteiler mit Krawatte gegenüber. Und Ulrike Enders ist überzeugt so der „Schönheit der Männerbrust“ Referenz erwiesen zu haben, zumindest war es ihr Antrieb, diese Arbeit zu schaffen.
Eine der eindrücklichsten Positionen für die künstlerische Fertigkeit Ulrike Enders‘, Haltungen zu zeigen ohne den vollständigen Körper des Mannes, der Frau abzubilden, finden Sie auf der Empore. Muße – lediglich die Unterarme und Hände lässig auf die Beine gelegt – mehr abzubilden vom Körper als Arme, Hände, Füße und Beine ist für Ulrike Enders nicht nötig, um diese Haltung der Muße zu präsentieren. Hier trifft die Beobachtung von R. M. Rilke über die Torsi von A. Renoir, dass ein künstlerisch Ganzes nicht das figürlich Ganze abbilden müsse.
Form und Material
Die Formsprache und die Materialien – Polyester, Holz, Stein, Bronze – bedingen sich bei Ulrike Enders. Polyester war für sie ein befreiendes Material, wie sie im Vorgespräch erzählte: „Man hat die Kunstgeschichte nicht im Rücken und kann es als Frau bewältigen.“ Außerdem lässt das durchscheinende Material Lichtspiele zu und lässt sich mit Stoffen unterlegen, die ganz eigene Effekte evozieren.
Aber dann hat sie auch das Holz gereizt und besonders Holz mit Schrunden und Rissen, angebrannt, defekt, benutzt wie die Balken aus ihrem Fachwerkhaus aus dem 18. Jahrhundert. Auch die Defekte fordern sie heraus zu suchen und zu entdecken, welche Formen darin stecken. Die Arbeiten in der Nische: Brettermann – Kernstück – Bruchteil mit Kragen, sind geprägt einerseits von der sichtbaren Geschichte der alten Hölzer, ihren Funktionen im Haus als Balken oder Fußbodendielen – alte Nägel stecken drin, das Holz ist z.T. verkohlt – andererseits von der Form, die nun mit Krawatte wieder einen Mann darstellt, der bei aller Schrundigkeit des Materials, seinen gesellschaftlichen Platz behauptet.
Viele der über zwei Dutzend Arbeiten Ulrike Enders‘ im öffentlichen Raum spielen mit dieser Spannung zwischen Material und Formsprache, Erkennbarkeit, Materialvoraussetzung und entgegengesetzter Glätte der gesellschaftlichen Positionierung, der gesellschaftlichen Fassade. Zugleich nimmt sie dabei ein Prinzip auf, dass ihr auf einer frühen Reise nach Indien bei (Tempel)Skulpturen aufgefallen war. Setzt die klassische europäische Skulptur auf (idealisierende) Detailgenauigkeit, wechseln bei den Arbeiten dort ausgearbeitete Details mit großen, abstrahierten Flächen. Das lässt ein Spiel mit den Materialien, ein Spiel mit Details zu wie bei den beiden Zweiseitigen Büsten.
Natur und Kultur
Vielleicht ist der Titel der Arbeit, die in einer Reihe steht, in der Ulrike Enders Holzstämme, Holzreste zu Köpfen gestaltet, deren Augenlieder aus Tassenscherben bestehen. Design und Glätte der Scherben stehen häufig im Kontrast zu den natürlichen Fehlern im Holz. „Wir müssen uns“, merkt Ulrike Enders im Vorgespräch an, „mit dem abfinden, was wir von der Natur mitbekommen haben, unseren Körpern, so wie sie sind. Wir leben mit dem, was wir geliefert bekommen. Und können doch verändern, zivilisatorisch und kulturell eingreifen.“ Körper und Kleidungsaccessoires, Natur und Zivilisation, Materialfehler und Glätte – Ulrike Enders kostet diese Gegensätze aus. Besonders deutlich in der Kopfskulptur, bei der die Glätte des Polyesters mit der natürlichen Oberfläche des Holzes kombiniert ist, entgegengesetzt und versöhnt.
Die Bronzearbeiten Alleinstellungsmerkmal K, Alleinstellungsmerkmal B, Gregor, die Tänzerin in der Vitrine oder auf der Empore die beiden wie Außerirdische wirkende Skulpturen basierend auf einem Schafoberkiefer und einem Kamelknochen, aber auch die Holzarbeit Kopf mit Kugeln, in der kugelförmige Auswüchse am Holz nicht entfernt, sondern in die Arbeit integriert wurden und an die Kropferkrankungen älterer Menschen in Ulrike Enders Kindheit im Allgäu erinnern, alle diese Arbeiten verbinden Naturelemente (Zapfen, Muscheln, Lotusblatt, Hummerpanzer) mit der Darstellung der menschlichen Person. Kultivierte Persönlichkeiten in Abhängigkeit von und Verwiesenheit auf die Natur. Die Persönlichkeit des Menschen, seine Bedeutung und Würde als Subjekt gewinnt er dadurch, dass Subjekte als Menschen, „die sich zu sich selbst verhalten, in dem sie sich zu anderen verhalten“ (G. Häffner) in Beziehungen stehen. Der Mensch ist Mensch, wird Persönlichkeit in Begegnung, Auseinandersetzung und Beziehung zu anderen, Gesellschaft und Natur – letztere, die Naturbeziehung, eine Beziehungserkenntnis, die die Künstler:innen der Romantik nachhaltig prägte.
Im Album Mensch für seine verstorbene Frau hat Herbert Grönemeyer es 2002 lyrischer beschrieben:
Und der Mensch heißt Mensch
Weil er vergisst,
Weil er verdrängt
Und weil er schwärmt und stählt
Weil er wärmt, wenn er erzählt
(…)
Und der Mensch heißt Mensch
Weil er irrt und weil er kämpft
Und weil er hofft und liebt,
Weil er mitfühlt und vergibt
Und weil er lacht
Und weil er lebt
Und der Mensch heißt Mensch
(…)
weil er schwärmt und glaubt,
Sich anlehnt und vertraut
(…)
Alles Eigenschaften des Miteinanders. Des Aufeinanderbezogenseins. Und so ist am Ende die bunte, putzige Truppe von Männern und Frauen mit der bekannten runden Anmutung und glatten Oberfläche, die Ulrike Endres zwischen 1976 und 2020 geschaffen hat und die Dagmar Brand als Kuratorin in der Weißen Halle der Eisfabrik aufgestellt hat, doch keine Gruppe erratischer Solipsisten, sondern Menschen mit ihren Macken und Makeln, ihren Begrenztheiten. Menschen wie du und ich. Manchem mag dieser Spiegel nicht gefallen. Der verkennt die feine Ironie und Versehrtheit der Arbeiten Ulrike Enders‘.
[Text der Vernissageeinführung von Wilfried Köpke]