Eine Ausstellung dieses außergewöhnlichen Künstlers passend in der Osterzeit. Vernissage am Sonntag, 14. April 2019, 12:00 Uhr in der Weißen Halle der Eisfabrik Hannover e.V., Seilerstraße 11.
Kuratiert von Dagmar Brand.
Einführung: Wilfried Köpke
Einführungstext |
Es ist mutig von Dagmar Brand in ihrer Reihe hannoverscher und regionaler Künstlerinnen und Künstler Nikola Sarić auszustellen. Der seit 2011 in Hannover lebende und arbeitende Künstler ist ein Unikat unter den hannoverschen Künstlern, die natürlich alle einmalig sind, aber Nikola Sarić ist anders: in Technik, Motiven und im künstlerischen Herangehen. Sarić ist Künstler in der Tradition der orthodoxen Ikonenmalerei mit ausdrücklich biblischen bzw. christlichen Motiven. Es sind keine eingearbeiteten religiösen Zitate, es sind biblisch-christliche Motive. Das passt nun so gar nicht in eine Zeit, in der Kirche und Christentum, Religion überhaupt eher unter dem Generalverdacht des Ewiggestrigen stehen: „Religion, zum Teufel!“ war der Titel des 196. Kursbuches im Dezember 2018, „dessen Beiträge (…) an den religiösen Phänomenen [ansetzten]“[i]. Kirchlich sagt, wer mittelalterlich meint und Religion passt allenfalls in ihren Surrogatformen von Wellness, Yoga und Heilfasten ins gesellschaftliche Programm. Und künstlerischen Narrativen gegenüber ist man spätestens seit Jackson Pollock und Francis Bacon äußerst skeptisch. Bacon formuliert dogmatisch in einem Interview: „Ich habe keine Absichten. Mein Blick ist nicht auf Bedeutung gerichtet. Ich schaue nur und male. (…) Ich selbst drücke ja nichts aus. Ich habe nichts zu sagen. Ich mache nur Bilder“[ii]. Selbst bei einem figurativ arbeitenden Künstler: Keine Botschaft, kein Narrativ.
Diese Ausstellung von Nikola Sarić unter dem nichts erklärenden und beinahe irreführend sparsamen Titel Malerei scheint wenig zeitgenössisch, contemporary. Ich denke allerdings, dass er Künstler ist im besten Sinn als ein Zeitgenosse und ich hätte der Ausstellung als Titel gegeben: Die Magdalenensekunde. Doch zu beidem später mehr.
In dieser Ausstellung hängen Arbeiten aus vier Zyklen: Gleichnisse – Zeugen – der Zyklus vom Leben und Ansichten des Kreuzes.
I |
Nikola Sarićs Arbeiten wirken auf den ersten Blick bekannt. Sie sind im Stil der osteuropäischen Kirchen- und Ikonenmalerei gemalt. Das kommt nicht von ungefähr. Nikola Sarić, geboren 1985 in Serbien, hat in Belgrad nicht nur an der Kunstfakultät der Universität Belgrad studiert, sondern anschließend sein Studium als Diplom-Künstler an der Akademie der serbisch-orthodoxen Kirche für Kunst und Konservierung in Belgrad abgeschlossen. Seine Formen, Motive und Techniken stehen in der Tradition der Ostkirchen. Bis vor wenigen Jahrzehnten waren die Motive der Heiligenikonen kanonisiert, d.h. die künstlerische Leistung bestand in der exakten Kopie – Kopie statt Originalität war von den Künstlern gefragt und gefordert; das hat sich geändert und neue Formen und Motive sind hinzugekommen.
Nikola Sarić fasziniert als junger Mann die Ikonenmalerei und er will „verstehen, wie die Maler zu Inhalt und Form kamen“[iii]. Und dann geht er weiter. Und wenn auf den ersten Blick die Bilder vertraut vorkommen: aus orthodoxen Kirchen in Urlaubsländern, aus dem Religionsunterrichtsbuch, von Postkarten, aus dem familiären Umfeld, so lohnt sich ein zweiter, ein genauer Blick.
Im Zeugen-Zyklus sind heilige Männer und Frauen, Märtyrer, Propheten, Kirchenväter dargestellt. Auf den ersten Blick findet man vieles, was die Ikonenmalerei ausmacht: Eine zentrale Figur allein durch die Größe hervorgehoben; kein Schattenwurf und nur angedeutete Dreidimensionalität bzw. Perspektive, klassische Attribute: Bei Petrus z.B. Schlüssel und Fels[iv], Ecclesia und Pallium. Man will schon freundlich grüßend – erkannt und verstanden – weitergehen, dann irritiert etwas. Petrus wurde – so die Legende – mit dem Kopf nach unten in Rom gekreuzigt. Hier steht er aufrecht, aber er steht auf Wasser – genau das, was ihm nicht möglich war, als er dem im Sturm auf demn Wellen des Sees Genezareth laufenden Jesus nachgehen wollte[v]: Im Sterben gelingt es ihm und dann sieht man, dass der Boden mit zwei römischen Henkershelfern, unperspektivisch klein, den oberen Bildrand fasst. Für einen Moment fragt man sich, ob das Bild nicht falschherum hängt. Ein Moment der Irritation, eine Sekunde der Richtungsänderung, ein Augenblick des Erkennens.
Noch ein zweites Beispiel aus der Zeugenreihe: Johannes. In der Tradition einer der zwölf Apostel Jesu und der Autor eines der vier Evangelienbüchern, des theologischsten (deshalb Johannes der Theologe) und der Offenbarung. Auch hier die klassischen Attribute: der schreibende Engel, die Höhle auf Patmos, aber dann ein Verweis auf die Offenbarung oder Apokalypse: Während die neue Stadt, das himmlische Jerusalem entsteht, klagen in der Offenbarung des Johannes[vi] die Könige, dass sie ihre Macht und die Kaufleute, dass sie ihren Reichtum verlieren. All das hat im Himmel keine Relevanz mehr. In Nikola Sarićs Bild ist es ein Bischof der verzweifelt seine Mitra, und sein Pallium, Zeichen seiner bischöflichen Macht und ein zeitgenössisch gekleideter Banker, der ein Bündel Dollarnoten halten will. Diese Überraschungsmomente gilt es zu entdecken und die Bilder sprechen abseits des als bekannt Gesehenen.
II |
Neben diesen Momenten der Irritation, der Sekunde der Richtungsänderung, den Augenblicken des Erkennens gibt es in den Arbeiten ein Moment der Gleichzeitigkeit, eine Art topographische Tiefenbohrung.
Als Beispiel kann wieder die Zeugenreihe dienen und auch das Bild des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter. Die Arbeiten zeigen sich multiperspektivisch, obwohl ihnen eine klassische (Zentral)Perspektive fehlt. Der Mann aus Samaria (Samariter) hat den niedergeschlagenen Mann auf dem Schoß. Dabei ist der Oberkörper des Kranken dem Betrachter, der Betrachterin aufsichtig zugewandt, Becken und Beine schauen hingegen in seitlicher Perspektive. Beide Männer sitzen und liegen auf einem Feld, dass der Betrachter von oben anschaut. Der Kopf des Samariters wirkt seltsam abgeknickt: Der Betrachter schaut ihm frontal ins Gesicht, obwohl der Samariter sein Gesicht Richtung Himmel wendet, während seine Augen zum Kranken gewandt sind. Bei fast allen Bildern der Zeugenserien finden sich dieselbe Kopfhaltung, wobei die Gesichter der Zeugen des Alten Testamentes nach (ihrem) rechts schauen, die nachösterlichen nach links. Der Betrachter, die Betrachterin sieht so gleichzeitig wie Gott auf die Dargestellten und wie ein Mensch. Trotz des statischen Aufbaus ist es die Abbildung eines Prozesses, einer Bewegung, eine Gleichzeitigkeit von unten und oben, irdisch und himmlisch, göttlich und menschlich. Was auf den ersten Blick in der Kopfhaltung und im Körperaufbau an Naive Malerei erinnert, entpuppt sich als überraschend vielschichtiges Stilmittel.
Diese Gleichzeitigkeit der Gegensätze findet sich auch in motivischen Elementen. Kunsthistorisch inspiriert durch Edvard Munchs Lebensfries hat Nikola Sarić den Zyklus vom Leben geschaffen. Es sind Stationen aus dem Leben Jesu: Geburt – Abendmahl – Himmelfahrt u.a. Die Gleichzeitigkeit der Gegensätze ist z.B. zu finden im Motiv der gewickelten Windeln und der kokonartigen Leinenbinden aus dem leeren Grab, die sehr ähnlich aussehen: Geburt – Tod und Auferstehung fallen zusammen.
Für Nikola Sarić ist dieser Zyklus mehr als eine Bebilderung des Lebens Jesu, er ist vielmehr die Darstellung des menschlichen Narrativs schlechthin, die Antwort auf die Frage: „Was bedeuten Liebe, Leben und Tod für mich? Und die biblischen Geschichten erzählen genau das!“[vii] Er präsentiert „Christus als das Leben“[viii] in diesem Zyklus.
In den Jahren des Studiums sucht Nikola Sarić „etwas existentielles, konstruktives, transzendierendes“[ix], deutlich wird das auch durch den Wechsel von der staatlichen zur kirchlichen Hochschule, obwohl er nicht aus einer gläubigen Familie stammt. Die biblischen Geschichten sind für ihn zeitlos gültige Antworten auf die existentiellen Fragen, die ihn bewegen. Ihnen spürt er malend nach; in Zyklen, in der Wiederholung, über ein Jahr, bis das Thema, die Motive erschöpft, die innere Reise beendet ist. Es scheinen mir nicht nur künstlerische Übungen, sondern auch geistliche Exerzitien zu sein, die ihr Ziel erreicht haben, wenn die Seele gesättigt ist.
III |
Zentrum der Ausstellung ist ein Triptychon, zusammengestellt aus dem Zyklus Ansicht des Kreuzes, an dem Sarić aktuell arbeitet. In der Mitte Ansicht des Kreuzes vom letzten Tag, daneben: Ansicht des Kreuzes vom Tempel und Ansicht des Kreuzes vom Grab. Die hohen Formate der wie altmeisterlichen Tafelmalerei in Öl wirkenden Acryl-Arbeiten ziehen an und lassen respektvoll verharren.
Es sind Arbeiten, die einerseits das Kreuz Jesu in den Blick nehmen und zugleich seine Überwindung: Der im Grab ruhende Jesus, an den sich Maria, Johannes, Maria Magdalena, Joseph von Arimatäa und Nikodemus schmiegen. Auf der anderen Seite das Motiv aus dem Matthäusevangelium, dass beim Tod Jesu der Vorhang im Tempel zerriss und die toten Leiber vieler Heiliger auferstanden.[x] Und in der Mitte der Moment vom Anbruch des letzten Tages. Maria und Jesus liegen schlafend umgeben von einer großen Zahl ebenfalls schlafender Märtyrern. Die sie alle umgebende, rahmende Stadt Jerusalem steht in apokalyptischen Flammen, bedrohlich die Mörder in allen Ecken der Welt mit antiken und zeitgenössischen Waffen, Cherubim decken die Märtyrer behütend zu. Johannes, in der Mitte neben Jesus und Maria, hat die Augen geöffnet, er sieht prophetisch, dass der letzte Tag zugleich der erste Tag des neuen Himmels und der neuen Erde ist.
Dem Autor Patrick Roth, ein Solitär unter den deutschen Gegenwartschriftstellern, ist im johanneischen Osterbericht eine Lücke aufgefallen, die er zur Grundlage seiner Erzählung Magdalena am Grab[xi] gemacht hat. Maria Magdalene steht am leeren Grab und sieht darin nur zwei Engel. Dann dreht sie sich um und sieht eine Silhouette. Denkt es ist der Gärtner. Redet mit ihm. Als Jesus sie mit ihrem Namen anspricht, heißt es bei Johannes, dreht sie sich erneut um. Da ist die Lücke. Sie muss an ihm vorbeigegangen sein, sich abgewandt haben, denn sie hatte doch gerade zuvor mit ihm gesprochen und ihn angesehen. Und diese Bewegung ist im Evangelium des Johannes nicht beschrieben.[xii] „Das ist die Magdalenensekunde (…),“ – beschreibt der Erzählerin Roths Erzählung, ein junger Regiestudent: „Die Magdalenensekunde: das ist die Sekunde der Wiedererkennung: Mensch und Gott werden einander wieder bewusst (…) einer neu, neugeboren im anderen.“[xiii]
Magdalenesekunde wäre ein passender
Titel für diese Ausstellung mit ihren Darstellungen über das Leben, von der
Geburt bis zum Tod, von der Erde bis in den Himmel, von Mensch und Gott – für
die künstlerische Umsetzung der Gleichzeitigkeit der Gegensätze, diesen
Momenten der Irritation, den Augenblicken des Erkennens, der Sekunde der
Richtungsänderung. Und darin ist Nikola Sarić dann ein Zeitgenosse
(contemporary artist) „im vollsten Sinn des Wortes (…)“, der „sich der ganzen
Komplexität der jeweiligen Zeit stellt, statt ihr auszuweichen (…) mit
äußerster Wachheit und Aufmerksamkeit“.[xiv]
[i] Armin Nassehi: Editorial. Kursbuch Hamburg (196) 2018, 3.
[ii] Francis Bacon im Gespräch mit Friedhelm Mennekes, in: Friedhelm Mennekes und Johannes Röhrig: Crucifixus. Das Kreuz in der Kunstunserer Zeit, Freiburg i. Br. 1994, 36.
[iii] Nikola Sarić im Gespräch mit dem Autor in seinem Atelier am 18.03.2019.
[iv] Mt 1618.
[v] Mt 1422-32.
[vi] Offb 18.
[vii] Nikola Sarić im Gespräch mit dem Autor am 18.03.2019.
[viii] Nikola Sarić im Gespräch mit dem Autor in seinem Atelier am 12.04.2019.
[ix] Nikola Sarić im Gespräch mit dem Autor am 18.03.2019.
[x] Mt2751-53.
[xi] Patrick Roth: Magdalena am Grab, Frankfurt am Main 2003.
[xii] Jo 2011-16.
[xiii] Patrick Roth: Magdalena am Grab, Frankfurt am Main 2003, 49.
[xiv] Heinz Robert Schlette: Zeitgeist, Zeitdeutung, Zeitgenossenschaft. In: Biotope der Hoffnung. FS Ludwig Kaufmann, Olten 1988,40f.