| 07.03. – 17.03.2025 | Künstlerhaus Hannover | Ausstellungseinführung[i]
Am Internationalen Tag der Frau als Mann zu sprechen ist unprofessionell und problematisch. Das habe ich den Organisatorinnen gesagt. Wenn ich es dennoch verantwortlich tue, dann aus zwei Gründen: Der Ursprung des Internationalen Frauentages hatte immer mehr als die Frauen, nämlich die gesamte Gesellschaft im Blick. Und ich bin als Mann auch Bruder einer Schwester, Vater einer Tochter, Partner einer Frau. Der diesjährige Prix Goncourt-Preisträger Kamel Daoud betont in feministischer Perspektive auf die Gesellschaft: „Nur wenn meine Frau sich sicher und frei bewegen kann, bin auch ich in Freiheit und Sicherheit.“[ii] Das entscheidende Kriterium für die demokratische und politische Gesellschaft ist für ihn die Freiheit der Frauen. Und das lässt sich erweitern auf unsere Schwestern und Töchter.
Diese Position schließt an den Anlass an, seit 1921 den 8. März als Weltfrauentag zu setzen. 1917 streikten an diesem Tag in Petrograd die Bewohnerinnen der armen Stadtviertel. Arbeiterinnen, die Ehefrauen von Soldaten und erstmals auch Bäuerinnen gingen gemeinsam auf die Straße und lösten so die Februarrevolution aus; sie demonstrierten unter der Losung: ‚Brot! Nieder mit dem Krieg! Nieder mit dem Absolutismus!‘ Gleichzeitig traten die Arbeiter der wichtigsten Rüstungsbetriebe in den Streik und zogen in die Stadt. In den nächsten Tagen wuchs die Zahl der Streikenden und Demonstrierenden zu einer Lawine an. Die Revolution begann. Die Bauern im Soldatenrock liefen auf die Seite der Arbeiter über.[iii]
I
Wirtschaftliche Gerechtigkeit – Weltpolitischer Friede – Veränderung der gesellschaftlichen Machtstrukturen. Nicht weniger ruft uns alle der 8. März in Erinnerung. Erschreckend, wie aktuell das nach 108 Jahren noch ist. Erschreckend auch, wie rückwärtsgewandt in diesen Tagen der Diskurs um die Frauenrechte ist.
Schauen Sie auf die Zahlen der Bundestagsabgeordneten: Noch nicht mal ein Drittel (32,4%)[iv] sind Frauen. In den DAX-Vorständen ist nur jede 4. Eine Frau[v]. Und zugleich boomen auf Instagram und TikTok Positionen junger Frauen, die sich unter dem Hashtag Stay-at-home-Girlfried (#SAHG) positionieren. Zu Haus bleiben, sich und das Heim schön machen und halten, bis der Boyfriend nach Hause kommt und genießen kann. Eine aktuelle Untersuchung der Dating-Formate Bachelor und Bachelorette[vi] ergab eine Fortschreibung heteronormativer Geschlechterstereotypen als wäre man im 19. Jahrhundert stehen geblieben: Männer sind sportlich, stark, testosterongeteuert, sind Ernährer, Beschützer, Dating-aktiv. Frauen werden als Dating-passiv, gefährdet und vorallem auf Äußerlichkeiten bezogen dargestellt. Beim Mann ist Konkurrenz sportlicher Wettstreit, bei den Frauen Zickenkrieg.
Wir schreiben das Jahr 2025. Und die Stereotypen sind noch sehr stark und werden zu eigenem Vorteil von Männern, leider auch von Frauen weitergetragen. Die Erkenntnis, beim Talk um Gleichberechtigung für Frauen am Arbeitsmarkt, ist auch, dass wer von Frauenrechten reden will, über das ungerechte kapitalistische Wirtschaftssystem und die entsprechende Politik nicht schweigen darf. Das hat Frauen 1917 auf die Straßen getrieben und gilt noch heute. Und wenn die Parteien Schwierigkeiten haben Kandidatinnen z.B. in Hannover für das Amt der Oberbürgermeisterin zu finden, weil das System zu chauvinistisch ist, spricht das nicht gegen die Frauen. Wohl aber gegen eine Politik, in denen der männlich bewertende Blick die Norm setzt.
II
Schaue ich Öznur Canservers Bilder an, entdecke ich keine Agitprop-Malerei, kein Aufschrei, keine offensichtliche Wut. Malerisch bewegt sich die Künstlerin nüchtern zwischen Neuer Sachlichkeit und Leipziger Schule mit surrealen Zitaten. Es sind Bilder, die den zweiten Blick brauchen, um gesehen zu werden – wie die Frauen als Motive.
Aus drei Werkgruppen hängen Bilder.
Frauen mit Einkaufstüten über dem Kopf gestülpt.
Eine Bankangestellte berichtete mir für meine Doku über Kriminalitätsopfer, dass die schlimmste Erfahrung für sie die über den Kopf gestülpte Einkaufstüte war, mit der sie gefesselt vierundzwanzig Stunden auf dem Teppichboden der Bankfiliale Berlin-Schlachtensee lag. Ausgeliefert. Blind. Jedes Geräusch, dass sie mangels Sicht nicht einordnen konnte, gefühlt lebensbedrohlich. Unerträglich für sie, später in den Zeitungen über die als gewieft und clever gefeierten Bankräuber zu lesen.
Die Tüte über dem Kopf nimmt sowohl den Blick, wie auch das Gesicht, die Identität. Dieses surreale Element in der Reihe verweist darauf, wie Frauen Rollen, Zuschreibungen, Stereotype übergestülpt werden. Es sind Frauen mit Migrationshintergrund, in dieser Reihe türkische Gastarbeiterinnen der 1. oder 2. Generation. Und die Bilder setzen ihre Erinnerungen um, was es heißt, so – als Türkin, Gastarbeiterin oder Gastarbeiterkind gelabelt zu werden. Und hier wird die Tüte bitter Öznur Cansever: Erinnerungen weiterlesen