Region Hannover | Schloss Landestrost | 6. November bis 11. Dezember 2022[i]
Magda Jarząbek hat auf Entdeckungstour eingeladen, mehr noch zur Forschung. Raumforschung. Da stellt sich die Frage, wer nun forscht: Die Künstlerin? Die Betrachter:innen? Dritte? Und: Was wird erforscht? Raum. Raum? Im Raum forschen oder den Raum erforschen und welchen Raum?
Wer forscht, sucht Antworten und objektive Eindeutigkeiten, denkt man gemeinhin. Wer Forscher:innen fragt, dem erklären sie, stets nur einen neuen Stand am Ende der Forschung zu haben – als Ausgangspunkt für neues Forschen. Und Objektivität? Auch ohne in den Chor der Fake-News-Pessimisten zu verfallen, hat mich seit meinem Studium ein Forschungsbericht von Werner Heisenberg immer wieder beschäftigt, der sich mit der Wellen- oder Korpuskeltheorie des Lichtes beschäftigte. Sehr stark verkürzt: Schickt man einen Lichtstrahl, ein Photon durch zwei Spalten und misst wo er auftrifft, dann scheint er stets dort aufzutreffen, wo der Forscher hinschaut. Faszinierend. ‚Weiß‘ das Photon, dass ich es als Forscher untersuche. Finde ich nur da, wo ich suche? Und, was heißt das für die Stellen, wo ich nicht hinschaue? Werner Heisenberg, Nils Bohr, Albert Einstein – viele haben sich damit beschäftigt – mir ist nur dieses eine Moment wichtig, das selbst in der doch so klar scheinenden Naturwissenschaft die Person die forscht, Einfluss auf das Ergebnis hat – ob sie will oder nicht. In den Sozialwissenschaften, stellt man sich dem Problem intensiv.
Magda Jarząbek stellt in dieser Ausstellung mehrere Versuchsanordnungen auf, und auch die verändern sich mit ihr, mit uns.
Museum
Erforscht. Erfasst. Katalogisiert. Ausgestellt. Museen sind Forschungsorte, Diskursorte und Archive der vergangenen Zeiten. Was passiert, wenn die Exponate keiner sieht? Die Exponate keine Gespräche auslösen, ihre Geschichten nicht erzählen können und ihre Geschichten nicht erzählt werden. Das war die Situationen während der pandemischen Lockdowns, die Magda Jarząbek beschäftigt haben.
Im eigenen Lockdown holte sie Fotografien von Besuchen in europäischen Museen in London, Amsterdam, Hannover u.a. heraus. In den danach gearbeiteten Ölarbeiten auf Karton der Reihe Museum entdecken wir als Betrachter:innen Vasen und Gedecke, Tassen und Teller. Nie pur. Mal stört der Schattenfall einer Vitrinensprosse, mal die Reflektion auf der Scheibe, mal der pastose Farbauftrag. Dadurch können wir als Betrachter:innen nicht ungestörte Beobater:innen, Voyeur:innen sein, Magda Jarząbek verweist immer wieder auf die Versuchsanordnung: Wir schauen auf ein Bild, das eine museale Anordnung zeigt. Und doch kommen so die Exponate zu ihrer Bestimmung, sie werden – wenn auch künstlerisch vermittelt – gesehen.
Verlockend der Gedanke, was eigentlich passiert, wen wir nicht hinschauen. Benedikt Wells hat diesen Gedanken für eine Londoner Bibliothek weitergesponnen[ii]. Jedes Jahr zu Weihnachten streiten sich die Bücher z.B. über ihren schlechten Platz im hintersten Regal der Bibliothek, wie häufig oder wie selten sie ausgeliehen wurden im zu Ende gehenden Jahr, also wie relevant sie noch sind, und nehmen dabei die Charakterzüge ihrer Autoren an, Proust gegen Hemingway, Joyce gegen Dickens oder Thomas Mann gegen Flaubert. Am Ende prügeln sie sich Buchdeckelschlagend und Seitenraschelnd und Hemingway geht zu Boden, wo ihn – alle Jahre wieder – der Nachtwächter aufsammelt: „‘Was ist nur jedes Jahr mit diesem Buch los…‘, murmelte er, dann schlurft er aus der Halle und verschloss mit dem üblichen Seufzen die Tür hinter sich“[iii]. Und in dieser Ausstellung: Der Streit Meißen gegen Fürstenberg, Vase gegen Teller, Bauhaus gegen Art Deko?
Die Raumforschung wird hier Geschichts- und Geschichtenforschung, es gilt Narrative zu entdecken.
Präsenz
Die Reihe Präsenz, ebenfalls im Herzog-Erich-Raum ausgestellt. Aus der Ferne scheinen es Aufsichten auf Objekte wie Teller, Tabletts, Schüsseln zu sein. Doch sie sind reduziert auf Farbe und Form und treten nur durch die dunklen Hintergründe (rot, grün, blau, schwarz), in denen jede Perspektive, jeder Horizont verweigert wird, beinahe schwebend hervor. Alles ist plakativ gehalten, ohne Objekttiefe oder Dreidimensionalität. Dadurch kommen aber die Ornamente zum Tragen, die Farbigkeit als Objektqualität und die Motive bekommen einen symbolbeladenen Charakter. Ich musste an die Krone der Queen auf dem Samtkissen denken bei den Bildern ihrer Aufbahrung.
Die Künstlerin erforscht das Zusammenspiel von Form und Farbe. „Mir waren“, sagte sie im Atelier, „die Museums-Bilder zu konkret. Mich hat interessiert, wie die Dinge im Museum präsentiert werden. Und ich hatte Freude am Kontrast“[iv]. So wie sie aus der Ferne wirken, können sie genauso auf einem Tisch auf dunklem Samt stehen oder auch im All schweben in unendlichen Weiten. Es könnten auch rein virtuellen Formen sein. Und, es ist auch ein Ringen mit der Frage in der Pandemie: „Wie zeigt man Präsenz als Künstlerin“[v].
In dieser Reihe, wie in den Bildern aus der älteren Reihe Nicht meine Erinnerung, Interieurs menschenleerer, aber offensichtlich bewohnter Räume, zeigt sich auch Magda Jarząbeks künstlerische Nähe zu Pierre Bonnard. Auch er verlässt irgendwann das mimetische Abbilden von Räumen in seinen Interieurs zu Gunsten von Farb- und Formkompositionen, noch stärker geht diesen Weg Henri Matisse. Und wie für Bonnard gilt für Magda Jarząbek, dass sie: „den Malprozess als solchen [enthüllt] und uns Orientierungspunkte [gibt], die es erlauben, den Inhalt des Bildes ansatzweise zu erschließen (…). Der in der Malfläche tobende Kampf oder vielmehr die sorgfältig austarierte Interaktion zwischen Farbtönen, Pinselführung und Farbqualität zeigt ein anhaltendes Gespräch im radikalisierten Bildraum“[vi].
In den drei großformatigen Arbeiten Zwischen den Linien entdeckt man diese Dynamik besonders. Magda Jarząbek hat diverse Situationen mit Stühlen zwischen gedruckte Linien gemalt. Nähern sich die Betrachter:innen diesen Bildern muss man sich wieder entfernen um diese Fragmentierung aufzulösen, wieder das Ganze in den Blick zu bekommen. Die Betrachter:innen werden also wieder in den Raum geschickt, um den bildlichen Raumeindruck zu bekommen. Gerade noch mit forschendem Blick dem Bild genähert, wird man Teil der Versuchsanordnung. Ein vor und zurück, en Forschertänzchen – oder ist man gerade selbst zum Teil des Experimentes geworden?
Man versucht die Stühle zu dechiffrieren, ihre Geschichte, ihren Platz. Warten sie darauf, dass sich einer setzt, wie in der Stuhlreihe aus Clärchens Ballhaus in der Berliner Auguststrasse. Oder sind sie abgestellt, wie das Bild das an ein Schulstuhllager erinnert. Lädt der breite Stuhl, auf den man schaut, zum Sitzen ein und verlässt man dann nicht die Rolle als unerkannter Voyeur und tritt ins Bild. Die Bilder entwickeln eine große immersive Kraft.
Traumaufzeichnungen
Im Kielmannsegge-Raum sind auf Tischen 40 kleinformatige Bilder mit kurzen Texten unter Plexiglas auf Tischen wir in einem Labor oder einer Handschriftenarchiv präsentiert. Es sind Magda Jarząbeks visuelle Traumaufzeichnungen aus 15 Jahren. Oft sind es Räume, Zimmer, Landschaftsräume. Mehr noch als bei den Interieurs oder der Reihe Zwischen den Linien wächst das Gefühl, voyeuristische in die Nachtbilder, die versteckten Seelenbilder der Künstlerin zu schauen, Raumforschung zu betreiben im Seelenhaus Magda Jarzą-beks. Und je intensiver man schaut, desto mehr eigene Träume steigen auf. Die Raumforschung beginnt zu verunsichern. Der Traum, in der Psychoanalyse nach Sigmund Freud Schlüssel zur Seele, Forschungsgegenstand in dem Forschende und Erforschtes identisch sind und sich gegenseitig witternd umkreisen, bedingen, erkennen.
Magda Jarząbek hat zu Raumforschungen eingeladen. Und hat es uns nicht einfach gemacht. Das hat seinen Grund. Eine kleine Geschichte dazu:
Unter einer Straßenlaterne steht ein Betrunkener und sucht und sucht. Ein Polizist kommt daher, fragt ihn, was er verloren habe, und der Mann antwortet: ‚Meinen Schlüssel.‘ Nun suchen beide. Schließlich will der Polizist wissen, ob der Mann sicher ist, den Schlüssel gerade hier verloren zu haben, und jener antwortet: ‚Nein, nicht hier, sondern dort hinten — aber dort ist es viel zu finster.‘[vii]
Paul Watzlawick nutzt diese Geschichte um zu erläutern, wie die Vergangenheit und ihre Deutungsmuster einem zur Falle werden können. Man finde nur bei Licht, und wenn man dort nicht findet, hat man sich nur nicht genug angestrengt – man stellt aber den eigenen Weg, die eigene Erfahrung, die eigenen Denkmuster nicht in Frage.
Magda Jarząbeks Austellung fordert anderes: Neu zu schauen, Sicherheit gegen Freiheit auszutarieren und Kreativität gegen Begrenzung. Schon allein durch die Vielfalt ihrer malerischen Ausdrucksformen – und sie ist als Künstlerin weitaus vielfältiger von der Bloggerin bis zur Videokünstlerin, von der Installation bis zur skulpturalen Arbeit – verweist sie darauf, dass die Raumforschung ein lebenslanges Programm ist, das über diese Ausstellung hinausgeht. Stürzen Sie sich also ins Abenteuer Raumforschung.
[i] Text der Einführungsrede.
[ii] Benedikt Wells: Die Nacht der Bücher, in: Ders.: Die Wahrheit über das Lügen, Zürich (Diogenes) 2018, S. 99-113.
[iii] Ebd., S. 113.
[iv] Magda Jarząbek im Gespräch am 23.09.2022.
[v] Magda Jarząbek im Gespräch am 23.09.2022.
[vi] Line Clausen Pedersen: Angewandte Malerei: Das Esszimmer im Verdon, in: Matthew Gale (Hg.): Pierre Bonnard: Die Farbe der Erinnerung, Ausstellungskatalog London – Kopenhagen – Wien 2019/2020, München (Hirmer) 2019, S. 45.
[vii] Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein, München – Zürich (Pieper) 121984, S. 27.