driften – 19.10.2018 – 18.11.2018

Kunstverein Barsinghausen

Wenn drei etwas zusammen machen, muss das noch lange kein gemeinsames Tun sein, keine Freundschaft, kein Team. Welche Fliehkräfte Koalitionen haben, das erleben wir seit Monaten in Berlin. Und auch unter Künstlern ist die Gruppenausstellung selten gemeinsamer Ausdruck einer einheitlichen Position, gar Künstlerfreundschaften, wie wir es von den Brücke-Künstlerinnen und Künstlern kennen oder den Künstlern des Blauen Reiters. Es sind manchmal nur Zweckgemeinschaften: Man kennt sich, schätzt sich und stellt gemeinsam aus.
In diesem Sinn sind auch Elke Lennartz, Klaus Madlowski und Constanze Prelle keine Künstlergruppe. Und doch verbindet sie – und das ist in dieser Ausstellung augenscheinlich – sehr viel miteinander. Jede der drei künstlerischen Positionen lebt von der Präsenz des Materials, mit dem sie künstlerisch arbeiten, dem häufig autopoetischen Prozess der Bearbeitung und der Raumwirkung, mit der und durch die die Arbeiten den Betrachter und Betrachterin herausfordern.

Material und Bearbeitung
Es gibt bei Bildhauern in der Bearbeitungsphilosophie unterschiedliche Positionen: der eine hat einen Plan und z.B. einen Stein und zwingt den Stein in die von ihm als Künstler geprägte Position – er muss also nur weghauen, was die Figur im Stein von seiner Vorstellung verdeckt. Eine andere Position beschreibt Cees Nooteboom in seine Roman Allerseelen . Arthur Dahne, der Ich-Erzähler, ein Dokumentarfilmer, beobachtet den Bildhauer Viktor Leven:
„Er [Arthur] saß auf seinem Stuhl in der Ecke und sah, wie Viktor seinen Hocker ständig irgendwo anders hinstellte und auf dieses Stück Stein lauerte. Das konnte Stunden oder Tage dauern, doch irgendwann würde das Hauen, viel später das Schleifen und Kerben beginnen, bis der Granit keine Ähnlichkeit mehr mit sich selbst, seine ursprüngliche Form verloren hätte. Doch dann wäre auch eine paradoxe Verwandlung vor sich gegangen, für die Arthur noch keine Worte gefunden hatte.“
Arthur beobachtet ein Belauern, eine stille Auseinandersetzung, einen stummen Dialog bis zu dem Moment, in dem Künstler und Stein, Künstler und Material sich finden und der handwerkliche Fertigungsprozess beginnt. Die Arbeiten der drei Künstler haben mich an diese Romanszene erinnert.
Alle drei arbeiten mit Material, das am Ende des künstlerischen Bearbeitungsprozesses kaum noch Ähnlichkeit mit sich selbst und seine ursprüngliche Form verloren hat einerseits – andererseits seine Herkunft nicht verleugnet und transzendiert. Als Sie reingekommen sind, wird Ihnen als erstes das in den Raum installierte Dreieck von Constanze Prelle aufgefallen sein. Über drei Spiegelsäulen spannt Constanze Prelle Kreppklebeband. Mit dieser Installation Ist Gelb ein Dreieck? schafft Prelle aus dem Leerstand in Barsinghausens Fußgängerzone erst einen Raum. Der Titel spielt ironisierend an auf die Farb- und Formüberlegungen von Johannes Itten der einerseits das Dreieck als Symbol des Denkens definiert hat und das helle Gelb als seinem schwerelosen Charakter entsprechend. Prelle hat die Klebebandrollen Bahn um Bahn abgewickelt und um die Säulen geschlungen und wenn die Rolle am Ende war, die nächste Rolle angelegt. Sie hat mit diesen Klebebändern, den Raum gebannt, das Klebeband hält – wie in ihrer ursprünglichen Funktion, den Raum optisch zusammen. Und doch ist etwas Neues, über die ursprüngliche Funktion hinausweisendes entstanden. Straff aber mit Lücken gespannt, hat man immer wieder auch Teile der Spiegel im Blick und damit Raumeindrücke aus dem Spiegelbild und die durch das Raumdreieck geschaffenen Gänge dahinter. Material und Betrachter gestalten die Arbeit selbstständig weiter. Trotz des monotonen Abwickelns hat das Material mit seinen Wölbungen, dem straffen Zug, dem Aufnahmen vom Staub auf der Klebeseite des Bandes einen autopoetischen Prozess angestoßen – es entwirft mit.
Ähnliches finden wir bei den Arbeiten von Klaus Madlowski und Elke Lennartz. Beide arbeiten mit vorgefundenen Materialien z.T. aus anderen Bereichen. Bei Lennartz sind es Kunststoffstanzreste aus der verarbeitenden Industrie oder Gehäusereste bei den bei den Neonarbeiten. Bei Madlowski mal Reste von Architekturmodellen aus Holz von Architekturstudierenden oder Pappreste von Modellbauten der Studierenden oder Farbprobenmusterchips für Autolacke, noch mit dem Loch in der Mitte, so dass man bei Auflegen auf die Karosserie vor dem Ausbessern exakt erkennen kann, um welche Farbe es sich handelt.
Und dann beginnt der Prozess der Bearbeitung: Lennartz verformt die vorgefundenen Teile mit Wärme und umwickelt stundenlang mit Gefühl und Vorsicht die Plastikteile mit Gaze, verschleiert damit etwas die industrielle Herkunft, bevor sie dann zwei nach zwei, drei Wochen die ihr passend erscheinende Farbe aufträgt. Madlowski schichtet die Pappreste und Ausschnitte aufeinander, baut aus Häuschenmodelle filigrane oder kompakte Skulpturen, sortiert de Musterchips in Reihen und spielt annähernd oder kontrastierend mit den Farben, er lässt zu, dass sich die beiden Stahlbleche, die er perforiert und miteinander verschweißt, wellen. Constanze Prelle schichtet Klebebänder übereinander, setzt Klebebänder in Gitter, flächig oder auch nur Reste, experimentiert mit dem Material. Ganz unterschiedliche künstlerische Positionen kommen dabei heraus aber gemeinsam ist allen dreien: Das Material spielt mit, setzt sich mit seiner Eigenschaft durch, es entstehen Formen und Farben aus dem Zusammenspiel zwischen Material und Künstlerin und Künstler, das Material wirkt selbst künstlerisch mit. Satt Zufall will ich es lieber mit Friedrich Weltzien Autopoesis nennen.
Man kann mit diesen autopoetischen Momenten nun kokettieren, wie es Elke Lennartz im Vorgespräch tat: „Ich kann mir dreidimensionale Sachen nicht vorstellen. Das ist ein großer Vorteil“. Oder man entdeckt gerade darin ein künstlerische Haltung der drei, die das Ausgangsmaterial sehr ernst nimmt und sich im künstlerischen Prozess, der Aneignung und Auseinandersetzung davon treiben lässt – und driften, das aus dem Niederdeutschen stammende Wort für treiben, steht als Motto und Titel über dieser Ausstellung. Nicht von ungefähr erkennen Sie, wenn Sie sich den Arbeiten Constanze Prelles näher, dass die Strukturen aus Klebebändern aufgebaut sind; sie erkennen, Teichfolien und Baugitter, bei Elke Lennartz erkennen Sie die Industriereste, die Schweißnähte in den Stahlblecharbeiten von Klaus Madlowski – alles das bleibt sehr transparent als Teil des Werks – aber die drei haben sich jeweils weitertreiben lassen.
Dieses Moment der Einbindung des Arbeitsprozesses und des Materials ist nicht neu in der Kunst. Plinius berichtet vom Maler Protogenes, vor über 2000 Jahren, der mehrfach vergeblich versuchte in einem fast perfekten Bild den Schaum auf der Schnauze des keuchenden Hundes darzustellen. Immer wieder wischt er das verpfuschte Schaumdetail mit einem Schwamm weg und schmeißt endlich entnervt den Schwamm dem gemalten Hund an den Kopf. „Dieser trug die abgewischten Farben wieder so auf, wie es sein Bemühen gewünscht hatte und so hatte der Zufall die Natur im Bild geschaffen.“
Das Zufällige in den kreativen Prozess einzubinden ist also nicht neu, es braucht dennoch Mut, sich reinarbeiten zu lassen in das eigene Werk und den gestalterischen Blick und die künstlerische Gesamtschau. Der Künstler wird so aktiv-reaktiv, er gestaltet wie die Natur, die auf Veränderung reagiert, ihre Baupläne ändert, sich anpasst, neu kreiert.
„Nicht nach der Natur zu arbeiten, sondern wie die Natur zu arbeiten, das ist die romantische Formel – und es ist ein produktions-ästhetischer Auftrag an Kunst (…). Eine kreative Leistung bemisst sich nicht daran, wie das Produkt aussieht, es bemisst sich daran, wie der Weg aussieht, auf dem es zustande gekommen ist.“
Es ist auch ein evolutionärer Prozess dieses Driften. Klaus Madlowski betont deshalb, dass er vom Material zur Kunst gekommen ist. Und Elke Lennartz bekräftigt „immer vom Material her zu arbeiten“.

Raumwirkung
Eine weitere Gemeinsamkeit sehe ich bei allen dreien in der Raumwirkung der Arbeiten. Alle drei arbeiten skulptural, selbst wenn die Arbeiten flach an der Wand hängen. Die Eisenblecharbeiten von Klaus Madlowski wölben sich in den Raum hinein, die Öffnungen führen den Blick des Betrachters zur dahinterliegenden Wand, die Schatten darin verändern sich nach Lichteinfall und machen es plastisch. Was von ferne wie ein Bild wirkt ist Skulptur. Ähnlich bei den Flechtwerkarbeiten von Constanze Prelle, die über da Passepartout hinaus geklebt sind, den definierten Bildraum übersteigen und selbst ihre Ölarbeiten: Mit der Rakel aufgetragene Ölfarben auf Leinwand, auf der Klebebänder fixiert sind. Werden Sie gelöst, bleiben harte Kanten, pastos steht die Farbe dort und ragt in den Raum rein. Skulptural auf jeden Fall die Arbeit Am Grund aus Teichfolie, Gummimatten, Plastikgitter. Die Arbeit mit dem Baugitter hängt sogar vor einem Spiegel, so dass der Betrachter sich und den Raum mit einbindet im Betrachten. Elke Lennartz Arbeiten binden auf sehr unterschiedliche Weise ausdrücklich den Raum. Vergleichen Sie die eine der beiden roten Arbeite Lobster mit der kleinen blauen. Die rote genügt sich selbst, bindet kaum raum führt zu sich selbst zurück. Die blaue greift in den Raum aus, ringt nach Aufmerksamkeit, führt eine Bewegung nach oben die raumgreifend ist. Ihre Traumdämonen hingegen, eindeutig skulptural, wirken aus der Ferne wie Schatten an der Wand.
Diese Uneindeutigkeit, diese Mehrdimensionalität lassen den Betrachtern und Betrachterinnen bei jeder der drei Positionen einerseits auf sich gestellt stehen und andererseits eine große Freiheit – auch weil die Titel der Arbeiten eigentlich überflüssig sind und das Abstrakte aller Positionen eindeutige Narrationen nicht zulässt.
Drei Positionen. Ganz unterschiedlich. Und doch in der Wertschätzung des Ausgangsmaterials, dem künstlerischen Prozess und der Raumwirkung auf den Betrachter, die Betrachterin sehr nah. Sie haben viel zu entdecken. Es lohnt sich!

Wilfried Köpke, Hannover