Neue Arbeiten von Shige Fujishiro in der Galerie Konnektor
4. Dezember bis 31.Dezember 2016
Where is my paradise?
Das verlorene Paradies
Shige Fujishiro | Rauminstallation | Konnektor | Vernissageeinführung | 4. Dezember 2015
„Where is my Paradise?“, hat Shige Fujishiro die Installation im Konnektor benannt. Wo ist mein Paradies? Na hier vielleicht, denkt man, wenn man sich über den Kötnerholzweg den goldgerahmten Schaufenstern nähert. Schmetterlinge schweben; ein Pfau steht rum, ein Halsbandwehrvogel, ein südamerikanischer Standvogel, hat sich in drei Meter Höhe aufgeschwungen, ein Äffchen gekrönt mit Blumen in der Hand am Boden, gerahmte Blumen an der Wand, aus dem Spiel der Tennisschläger wächst wie in einer Bewegungs-slow-motion ein Regenbogen, die Absperrseile, die sonst den Besucher vom Kunstwerk, die Fans vom Star auf dem roten Teppich fernhalten, liegen umgefallen, den Zugang öffnend – und alles glitzert fein. Keine Schlange nirgends. Paradies im Schaukasten.
I
Doch der goldene Rahmen, die Scheibe dazwischen müssen stutzig machen – auch ein goldener Käfig ist ein Käfig. Die Tiere, die nach draußen gehören, sind drinnen. Ausgestopft. Die Schmetterlinge meist unter (Plexi)Glas aufgereiht wie in einer Schmetterlingssammlung. Der Käfig wie ein Vogelhaus, orientalisch-filigran von Weitem – massiv aus Stahl der Rahmen geschmiedet, entdeckt man aus der Nähe. Der Pavian ist aus dem Käfig ausgebrochen, aber er sitzt noch gefährlich nah dran und seine Blütenkrone verdeckt ihm die Sicht, den Blumenstrauß in der Hand hält er wie einen Brautstrauß, den Strauß zum Abschlussball. Doch das Tänzchen mit der Freiheit wird schnell beendet – noch im Schatten des Käfigs. Die Blumen im Rahmen tragen ein kleines Messingschild, von Unkraut #1 bis Unkraut #6. Doch kein Paradies?
Herangelockt durch das Idyll im golden gerahmten Schaufenster, hereingetappt in Shige Fujishiros optische Falle. Denn seine Arbeiten sind vielschichtiger und tiefgründiger als dieser erste Schein, der erste Eindruck, das vordergründige Glitzern.
Das Spiel mit Anschein und Gehalt, Vordergrund und Tiefsinn beginnt schon bei seinen Werkstoffen, neben ausgestopften Tieren steht lapidar auf dem Werkverzeichnis neben anderem immer: Glasperlen, Sicherheitsnadeln, Draht. Was fragil und zart wirkt ist durch diese Materialien schwer und doch gefährdet: löst man die Sicherheitsnadel, fallen die Perlen ab, die Arbeit auseinander. Die Leichtigkeit findet ihr Pendant in der Schwere von Metall und tausenden japanischen Toho-Perlen. Das spielerische Moment dieser Perlen kontrastiert die Arbeit: am Käfig oder am Wasserfall hat Shige Fujishiro jeweils fünf Monate gearbeitet. Es ist eine Arbeit, die anödet, stumpfsinnig; beim Käfig: immer die gleiche Perlenfarbe, aufgereiht auf Sicherheitsnadel, zusammenfügt zu einem kristallin wirkenden Sternen, verbunden zu einem Gitter, das Muster ähnelt japanischen Fenstern. Zigtausende Perlen, tausende Sicherheitsklammern, hunderte Sterne. Montiert. Tag für Tag. Am Fenster in seinem Atelier sitzend. Ebenerdig. Draußen gehen die Leute vorbei zur Arbeit, zur Schule, zum Einkaufen, zum Feiern, bei jedem Wetter, mit den unterschiedlichsten Launen. Perle an Perle, Sicherheitsnadel an Sicherheitsnadel. Wie die darbovschen Listen, die Zahlenreihen von Roman Opalka. Die Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter des vergangenen Jahrhunderts fallen einem ein: Mütter mit ihren Kindern sitzen am Küchentisch und stecken Knöpfe zusammen oder montieren Kugelschreiber, für ein, zwei Pfennige, die Masse macht’s, wenn überhaupt, und die Geduld, tage-, wochen-, monatelang. Und draußen, bei den anderen tobt oder zumindest spielt das Leben, denkt man. So sitzt Shige Fujishiro in seinem Atelier am Fenster. Seine Grenze ist das Fenster und seine japanische Herkunft und sein schwaches Deutsch. Die Freiheit – draußen.
II
Freiheit und Grenze sind Themen dieser Ausstellung. Wenn Shige Fujishiro hinter dem Fenster in seinem Atelier sitzt, ist er der Ausgeschlossene. Doch die Käfige lassen sich durchbrechen. Der Pavian kommt aus dem filigran wirkenden Käfig heraus. Der Käfig nochmal angebunden an ein Seil aus Perlen, wie eine Hundeleine. Doppelte Sicherheit, gesicherter Besitz. Doch der Pavian ist draußen, rausgekommen, ebfreit. Aber die Krone der Freiheit verdeckt seinen Blick und mit der Blume in der Hand, ausgestopft, ist er nur zum Bild der Freiheit geworden. Aber immerhin, er ist draußen, er konnte wählen. Und ihn umflattern Schmetterlinge (aus Glasperlen, Sicherheitsnadeln und Draht). Schmetterlinge, in Japan eine Symbol der Wiedergeburt, der Metamorphose, des Wandels und der Freiheit. Aber auch der Flatterhaftigkeit und promisken Leichtlebigkeit.
Freiheit auch in der Installationsecke um Pfau, Wasserfall und Halsbandwehrvogel. Der Pfau: Sinnbild höfischen Luxus und Eitelkeit. Der Wasserfall, in der japanischen Kunst Bild der Zeit, der Bewegung aber auch der Verbindung (durch die Reflektion) von Himmel und Erde, von Freiheit. Oben auf dem Basketballkorbring, von der der Wasserfall ausgeht, sitzt ein Halsbandwehrvogel. Man sieht ihm gleich an, dass er eigentlich ein Standvogel ist. Er kann fliegen, macht es aber nicht. Wie der Pfau. Aber hier hat er sich aufgeschwungen, sitzt stolz in drei Meter Höhe, hat Freiheit in Leichtigkeit gewonnen. Der Halsbandwehrvogel lebt im tropischen und subtropischen Südamerika, hat sein eigenes Revier, lebt monogam, Männchen wie Weibchen pflegen die Brut. Vorbildlich, fast wie bei Menschens. Tritt man näher entdeckt man am Flügelbug zwei fünf Zentimeter lange Sporne, knöcherne Dorne. Mit denen verteidigt das Männchen sein Revier und sein Weibchen vor anderen Hähnen. Schrebergartengesinnung in der Vogelwelt. Wie bei Menschens. Die Freiheit in den engen Grenzen des Eigenen, in der Abgrenzung von Anderen. Shige Fjishiros Arbeiten sind, und das macht immer auch künstlerische Qualität aus, zeitlos aktuell.
Einer Freundin brachte er vom Spaziergang mit deren Hund einen Strauß Feldblumen mit. Nach einem Tag waren sie verblüht. Die Freundin trocknete sie, wie die Rosen vom ersten Date, von Valentin, vom Lover. Es ist doch nur Unkraut. Nur Unkraut. Aber doch schön. Wie in Herbarien die Blütenstände aus Glasperlen, Sicherheitsnadeln und Draht. Wertvoll wirkt das Unkraut, luxuriös. Die Wahrnehmung, die Gestaltung, die Besetzung gibt den Dingen Wert und Bedeutung.
Der Regenbogen, der wie aus einer Slow-Motion-Bewegung des Spiel-Hin-und-Hers auf dem Platz aus den beiden Tennisschlägern wächst. Wie in Europa erzählt auch in Japan die Sage, dass am Ende des Regenbogens ein Schatz zu finden ist. Der Regenbogen als Verheißung. Er entsteht, wenn die Regenwolken Kraft und Präsenz verlieren und die Sonne sich wieder durchsetzt, am Übergang.
Ein Raum voller Bilder auf der Entdeckungsreise nach der Freiheit, dem Luxus der Sorglosigkeit, der Leichtigkeit. Paradiesvorstellungen.
III
Nachdem die Installation gestern fertiggestellt war, hat Shige Fujishiro sie „Where is my Paradies“ genannt: wo ist mein Paradies? Das verlorene Paradies – „Paradise Lost“ – stand auf der Einladungskarte.
Nach der biblischen Tradition ist das Paradies verloren, weil der Mensch sein wollte wie Gott. Im Denken der Aufklärung: die Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit geht auch mit der „Entzauberung der Welt“ (Max Weber), dem Verlust des kindlichen Paradieses einher. Die Sehnsucht danach bleibt. Der Preis des Paradiesverlustes ist die Notwendigkeit der Arbeit um das eigene Leben zu erhalten; die Arbeit der Ackerkultur, bedroht von Unkraut und Mühsal (Gen 3, 17-19). Wo ist mein Paradies.
Shige Fujishiro sitzt, Tag für Tag und steckt die Perlen auf die Sicherheitsnadeln. Mühsam. Eine fast mönchische Tätigkeit des immer gleichen Rituals, tagein, tagaus, ohne das Sinn und Fortschritt zu erkennen ist. Sisyphos Arbeit. Erst am Ende fügt Shige Fujishiro kreativ zusammen, dann entsteht etwas, dann binden sich die kleinen Einheiten in ein großes Ganzes, bekommen Sinn. Die verlorene Lebenszeit wird eingebunden und in einem Wurf ausgeführt, der über das Klein-klein, die Materialität, das Heimarbeitsähnliche hinausweist. Shige Fujishiro beantwortet die Frage der künstlerischen Avantgarde des vergangenen Jahrhunderts nach der Verbindung von Leben, Arbeit und Werk. In seinen Arbeiten sind Monate seiner Lebenszeit, seiner stumpfen Mühe eingebunden und dann verwirklicht in einem künstlerischen Wurf aus tausedne Perlen, Stunden, Leben.
Hegel schreibt von „Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit“. Als junger Philosophiestudent habe ich das verworfen, ich empfand es als Niederlage des Geistes vor der Wirklichkeit . Heute bin ich älter. Und vorsichtiger geworden. Wo ist das Paradies? In seiner kindlichen Unbedarftheit und Ungebrochenheit ist es verloren. Als Setzung unseres Tuns kann es wieder entstehen, bedroht, unvollständig, mühsam – aber als Ort von Freiheit, den wir selbst verantworten und nicht einfach von oben bekommen. Dass solche Orte dann über sich hinausweisen – das zeigen schon die gut 30 Quadratmeter mit der Installation von von Shige Fujishiro im Konnektor. Where is my paradise ? – It’s here. Where else? Get it!
Wilfried Köpke, Hannover